Im Januar erhielt Hollywood-Legende John Williams seine 54. Oscar-Nomination und er trägt satte 21 akademische Ehrentitel. Seit 70 Jahren komponiert der inzwischen 92-Jährige auch Filmmusik, wobei er seit 50 Jahren Weggefährte von Regisseur Steven Spielberg ist, mit dem er bereits an mehr als 50 Kino- und TV-Produktionen gearbeitet hat. Beispiellose Zahlen und Fakten, die nachfolgend etwas ergründet werden sollen, denn Williams/Spielberg stellt alle anderen Regisseure/Komponisten-Duos – Hitchcock/Herrmann, Fellini/Rota, Tornatore/Morricone oder Prokofiev/Eisenstein – punkto Projektzahl und Diversität in den Schatten.
John Williams erblickte am 8. Februar 1932 in New York das Licht der Welt. Schon während seiner Kindheit war er von Musik umgeben. Als die Familie 1948 nach Los Angeles zog, begann sein Vater im Columbia Pictures-Orchester zu spielen und ‚Johnny‘ begleitete ihn oftmals in die Aufnahmestudios, wenn er selbst nicht mit dem Musikstudium an der University of California (UCLA) beschäftigt war. Nach seinem Militärdienst kehrte Williams im Frühjahr 1955 nach New York zurück und begann sein Klavierstudium an der renommierten Juilliard School. Mit Bandauftritten in Jazz Clubs und mit Studioaufnahmen verdiente er sich einen Batzen. Doch schon bald zog es ihn wieder nach Los Angeles, da beim Columbia Pictures-Orchester die Stelle des Pianisten vakant wurde. Als solcher tauchte er wieder ein in die Welt der Filmmusik.
John Williams und Steven Spielberg. Ein nächstes Projekt von Spielberg ist eine Dokumentation über Williams.
Steven Spielberg (links) und John Williams an einem Pressetermin 1974.
1972 – ein Mittagessen
Ab Mitte der 1960er Jahre griff John Williams vermehrt zur Feder und komponierte Filmmusik – damals wie heute mit Stift und Papier, an seinem inzwischen über 100-jährigen Steinway-Flügel sitzend. Mit seinen Americana-Kompositionen zu «The Reivers» (1969) und «The Cowboys» (1972) zog der damals 40-jährige John Williams die Aufmerksamkeit des 26-jährigen Steven Spielberg auf sich. Spielberg erinnert sich: „Damals drohte die sinfonische Filmmusik zu verschwinden. Meister des klassischen Hollywood-Sounds wie Dimitri Tiomkin und Max Steiner komponierten nicht mehr. Als ich «The Reivers» und «The Cowboys» hörte, dachte ich, ‚mein Gott, dieser Komponist muss 80 Jahre alt sein‘. Er komponierte rein sinfonisch und transzendierte diesen altehrwürdigen Hollywood-Klang. Ich musste ihn treffen.“ Und so trafen sich Steven Spielberg und John Williams 1972 zum Lunch in einem „schicken Restaurant in Beverly Hills“, wie sich Williams erinnert. „Steven war so jung. Wenig älter als meine Kinder. Doch er kannte meine Filmmusik besser als ich.“ Spielberg wollte Williams als Komponist für seinen neuen Film «The Sugarland Express» (1974) gewinnen. Williams sagte zu, womit das Fundament für eine bis heute anhaltende, bis dato mehr als 50 gemeinsame Projekte umspannende Zusammenarbeit gelegt wurde.
„Ich dachte, er verarscht mich“
Bereits bei John Williams‘ zweiter Zusammenarbeit mit Steven Spielberg kam seiner Musik eine Schlüsselrolle zu. Für «Jaws» (1975) schrieb Williams ein Thema, das aus zwei Tönen bestand. „Ich wollte ein triviales, mechanisches, hirnloses Thema. Ein Motiv, das instinktiv und repetitiv wirkte. Etwas, das einem in der Magengrube klemmt und nicht auf Kognition angewiesen war“, so Williams. Als er Spielberg das Thema vorspielte, war dieser geschockt: „Da sass er am Klavier mit seinem lausbübischen Grinsen und spielte diese zwei Töne. Ich dachte, er verarscht mich. Doch es war ihm todernst.“ Doch nach der anfänglichen Überraschung verfehlte das Thema seine Wirkung nicht. Weil Spielbergs mechanisches Hai-Modell während des Filmdrehs immer wieder kaputt ging, wollte er diesen möglichst selten im Bild zeigen und er erkannte in Williams‘ Thema die Effektivität der Betonung der unsichtbaren Bedrohung. Zwischenzeitlich ist das Thema Kult, wurde tausendfach zitiert und 1976 mit einem Oscar gekürt.
1979 stand bereits das vierte gemeinsame Projekt an: die Militärsatire «1941» für die Williams einen Marsch komponierte, den Spielberg bis heute als Johns „besten Marsch“ einstuft – „sogar besser als sein Raiders March für «Indiana Jones». Nach ersten Studioaufnahmen ging ich nach Hause, übte den Marsch auf meiner Klarinette und setzte mich nachher mit ins Studioorchester, um dafür zu sorgen, dass das Spiel auch passend stümperhaft, zottig war.“ Denn der jazzige, südländisch angehauchte Marsch sollte im Sinne der Satire „ein bisschen daneben klingen“ und einen etwas „unverschämten Charakter“ aufweisen, erklärt John Williams.
Steven Spielberg und John Williams über «Jaws».
John Williams über «E.T. – The Extra-Terrestrial».
„Ohne John Williams fliegen keine Fahrräder“
Das Stück Adventures on Earth spannt einen weiten Bogen über das Finale von «E.T. – The Extra-Terrestrial» (1982), die 6. Williams/Spielberg-Zusammenarbeit. Diese Sequenz hat Filmgeschichte geschrieben: Eine Bande Jungs rast zusammen mit E.T. hastig auf ihren Fahrrädern über Stock und Stein, verfolgt von zwielichtigen Männern in deren Autos. Als sich ihnen eine Polizeisperre in den Weg stellt, schwingen sich ihre Fahrräder in die Lüfte und mit ihnen holt auch die Filmmusik aus zu einem Höhenflug, der auf einer Waldlichtung endet. Dort nehmen auch E.T.s Abenteuer auf unserer Erde ein Ende, denn seine Artgenossen holen ihn mit dem Raumschiff ab. Ein herzzerreissender Abschied steht bevor. Die kurz zuvor noch action-geladene, überwältigende Musik setzt zum bewegenden Goodbye an – zuerst intim und dann mit grossorchestralen Gesten passend zum Abflug des Raumschiffs. Spielberg: „Wenn sich eine Träne im Auge zu bilden beginnt, sorgt John mit Sicherheit dafür, dass sie rollen wird. Johnny’s Musik für «E.T.» ist liebevoll und besänftigend. Sie ist furchterregend und geheimnisvoll. Und zum Schluss hin steigert sie sich in opernhafte Opulenz. Meine Meinung: das ist seine beste Filmmusik.“
Kindheitserinnerungen begleiteten Williams’ Arbeit an «Hook» (1991), für die er mit seiner Musik ebenfalls Höhenflüge ermöglichen musste: „Mein Lieblingsmoment in dieser Geschichte war stets, wenn Peter Pan und Tinkerbell über die Dächer Londons nach Nimmerland fliegen.“ Im kraftvollen Stück Flight to Neverland hüllt er die Faszination für das Fliegen mit virtuosen Streichern und strahlendem Blech in kindlich-märchenhafte Aufregung. Spielberg hierzu: „Dies war unsere 11. Zusammenarbeit. Ich hatte immer über Johns Musik geschrieben, doch hier fehlen mir schlicht die Worte. Schliessen Sie einfach die Augen und lassen Sie sich von der Musik wegtragen.“
Unser Konzert-Tipp
«A Tribute to Williams & Spielberg –
Celebrating 50 Years of Movie & Music History»
City Light Symphony Orchestra
Samstag, 20. April 2024 | 19:30 Uhr
KKL Luzern · Konzertsaal
Ein Jahr, zwei Meisterwerke – «Jurassic Park» und «Schindler’s List»
Im Jahr 1993 lieferte John Williams sogleich zwei Meisterwerke ab: «Jurassic Park» und «Schindler’s List». „Mit der Musik für «Jurassic Park» versuchte ich, diesen Tieren eine wundersame, prächtige Aura zu verpassen, gar sakral … eine orchestrale Reverenz, die einem Einzug in eine Kathedrale gleichkommen soll“, denn dies waren Williams’ Gefühle, als er die wiederauferstandenen Dinosaurier in Spielbergs Film sah. Doch während Williams seine Musik für «Jurassic Park» aufnahm, war Spielberg bereits in Polen, wo er «Schindler’s List» drehte. Dieser Dreh belastete Spielberg emotional sehr stark. Ihm halfen zum einen lange Telefonate mit Schauspielkollege Robin Williams (dieser spielte in «Hook» die Hauptrolle), der ihn mit Empathie beim Verarbeiten des zu verfilmenden Holocaust-Horrors half, und zum anderen Studioaufnahmen von John Williams, dessen majestätische, abenteuerliche «Jurassic Park»-Musik ein willkommenes Gegengewicht zum bedrückenden Filmdreh bot.
Doch schon bald musste sich auch Williams mit «Schindler’s List» auseinandersetzen. Nachdem Spielberg ihm eine erste Schnittfassung seines Films zeigte, sagte Williams zu Spielberg, dass er für diesen Film „einen bessern Komponisten“ benötige. „Ich kann das nicht.“ Spielberg antwortete dann trocken: „Ich weiss, doch diese anderen Komponisten sind bereits alle tot.“ Williams schuf eine herzzerreissende Mischung aus Elegie, Requiem und jüdischer Folklore, angeführt vom „jüdischen Nationalinstrument“, der Geige. Das Stück Jewish Town präsentiert Williams’ Musikporträt der jüdischen Fabrikarbeiter von Oskar Schindler. Es ist das Thema der Arbeiterklasse, wobei die Solovioline ein folkloristisches Spiel zu wogenden, leicht stampfenden Rhythmen – eine Referenz an die maschinelle Fabrikarbeit – präsentiert.
1997 ging’s für Steven Spielberg und John Williams zurück in den Dschungel – auf die Isla Sorna, wo aus dem «Jurassic Park» ausgebüxte Dinosaurier leben und gedeihen – und Touristen attackieren. In «The Lost World: Jurassic Park» weicht die Freizeit-Wunderwelt-Atmosphäre einer knallharten, wilden Gejagt-Werden-Erzählung. Entsprechend verzichtet Williams auf majestätische, sakrale Musikmomente und fährt stattdessen ein Perkussions-Feuerwerk auf, über das sich ein lebhaftes Thema für die Isla Sorna legt, das geschickt aus Dur-Tonleitern zusammengesetzt ist und ein Gefühl von Abenteuer angesichts ständiger Gefahr verleiht.
Szene aus «Schindler’s List».
Szene aus «Jurassic Park».
Aus «Munich» erklingen die «End Credits».
Reflexion und Gedenken
Zwei Wochen nach der Kinopremiere von «The Lost World: Jurassic Park» begann Spielberg mit der Arbeit an «Saving Private Ryan» (1998). Williams: „Das laute, brutale Kriegsgeschehen war filmisch so bestechend echt gemacht, dass wir die Musik gänzlich auf die ruhigen Momente beschränken wollten.“ Auch das Stück Revisiting Normandy, im Stile eines Bläserchorals gehalten, dient der Reflexion und des Gedenkens. Spielberg: „John Williams hat ein Denkmal für alle Soldaten geschrieben, die sich bei der Invasion in der Normandie am 6. Juni 1944 auf dem Altar der Freiheit geopfert haben.“
In diesem Atemzug sollen auch Williams’ Kompositionen für die Filme «Munich» (2005) und «Lincoln» (2011) genannt werden. Allesamt sind dies musikalische Destillate zu wegweisenden geschichtlichen Ereignissen. Mit seiner Filmmusik betont Williams eine universale Sehnsucht nach einer Welt, in der sich solche Geschichten nicht hätten zutragen sollen. In den End Credits zu «Munich» gedenkt Williams mit dem Stück A Prayer for Peace den im September 1972 in München getöteten israelischen Olympioniken und mit seiner Musik für «Lincoln» porträtiert er die dramatischen Ereignisse, die sich im Amerika an der Wegscheide zwischen der Abschaffung der Sklaverei, der Wiedervereinigung nach vier Jahren Bürgerkrieg und der Rettung der demokratischen Prinzipien abgespielt haben.
Auch die Geschichte rund um Albert und sein Pferd in «War Horse» (2011) spielt sich im Angesicht des Krieges ab. Als sein geliebtes Pferd im Ersten Weltkrieg an die Kavallerie verkauft wird, meldet sich der junge Albert zum Kriegsdienst, womit seine idyllische Kindheit im pittoresken Dartmoore zu Ende geht. Diese Idylle porträtiert Williams mit Dartmoor, 1912. Spielberg: „Die dramatische Landschaft Dartmoors hat John zu einer Musik von solcher Schönheit und stiller Majestät inspiriert, dass man meinen könnte, die Erde spreche durch ihn.“ Hier treffen britische Noblesse im Stile von Ralph Vaughan Williams auf Williams’ unverwechselbaren Americana-Stil.
Verspielte Orchester-Action
Ganz andere Töne und Tempi schlägt John Williams in seiner Filmmusik für «The Adventures of Tintin» (2011) an. Williams erinnert sich an Kinobesuche in seiner Kindheit: „Ich liebte Mantel-und-Degen-Filme, insbesondere deren Schwertkampfszenen.“ Eine solche Szene durfte er mit The Duel in «The Adventures of Tintin» vertonen – „das Orchester betont jeden Hieb, jede Abwehr, jeden Stoss. Es bereitete mir grossen Spass.“
Temporeiches Orchesterspiel prägt auch Williams’ Filmmusik für die Abenteuer von Dr. Jones. Für «Indiana Jones and the Last Crusade» (1989) komponierte er eine seiner lebendigsten Filmmusiken überhaupt. Vom Gralsritter-Thema mit seinem unverkennbaren englischen, pastoralen, noblen Charakter über den ikonischen Raiders March bis hin zum furiosen Scherzo For Motorcyle and Orchestra im treibenden 6/8-Rhythmus. Spielberg: „Johns Musik bestimmt auch den Rhythmus des Filmschnitts. Er sorgt für eine konstante, abenteuerliche Reise.“ Nicht minder rasant und humoristisch geht es in A Whirle Through Academe zu und her. In dieser Szene aus «Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull» (2008) jagen Indy und sein Sidekick auf einem Motorrad über den Campus der Yale University und Williams’ Musik drückt mit schnellen Streicherfiguren und synkopischem Piccolo- und Xylophonspiel auch mächtig aufs Gas, wobei er sogar ein Zitat des Studentenlieds Gaudeamus igitur einbringt und damit der Alma Mater seine Referenz erweist.
Mit «The Terminal» (2004) widmete sich das Duo einer Dramödie und Liebesgeschichte. Viktor Navorski, die Hauptfigur des Films, strandet an einem internationalen Flughafenterminal, weil er kein gültiges Visum zur Einreise in die USA besitzt. Sein mehrtätiger Aufenthalt im Terminal wird geprägt von bangem Warten, einer Romanze und vielen Begegnungen mit Reisenden. Für diese Figur komponierte Williams ein vorwitziges Thema mit ungarischem Folklore-Kolorit, angeführt vom Spiel der Klarinette. Spielberg: „Für mich ist dies die Wohlfühl-Musik von Johns gesamtem Repertoire.“
«The Duel» aus «The Adventures of Tintin», aufgenommen vom City Light Symphony Orchestra. Dirigiert von Kevin Griffiths.
John Williams: „Gäbe es den Bedarf nach Filmmusik nicht, hätte ich wohl viele mir wichtige Kompositionsstile nicht praktizieren können. Ich bin ein Glückspilz.“