Vom Armeespiel in den Filmmusik-Olymp

Im Jahr 1954 war in der Zeitschrift “The Beacon” folgendes zu lesen: “Wenn sein Aufstieg weiterhin dermassen steil verläuft, werden die Worte ‘Musik von Johnny Williams’ bald über die hiesigen Leinwände flimmern und die Zielstrebigkeit eines ehemaligen Kameraden des Luftwaffenstützpunkts March bezeugen.” Der Autor sollte schon bald recht erhalten. Nach rund vierjähriger Dienstzeit als A/1c John Williams, Angehöriger der U.S. Air Force, wurde ‚Johnny‘ Williams im Januar 1955 ehrenvoll entlassen. Zu jenem Zeitpunkt hat er seine Musikerkarriere bereits lanciert. Seinen Militärdienst leistete er als Dirigent und Arrangeur für zahlreiche U.S. Air Force Bands, womit er die kanadische Regierung auf sich aufmerksam machte – jedoch mit friedlichen Absichten. Sie beauftragte ihn 1952, eine Filmmusik für die 22-minütige Reisedokumentation «You Are Welcome» zu komponieren. Williams schritt zur Tat, komponierte eine mit kanadischer Folklore eingefärbte Musik und nahm sie mit einer 12-köpfigen Besetzung der 596. Air Force Band auf. Als die Dokumentation 1954 gezeigt wurde, war „Musik von Johnny Williams“ zum ersten Mal auf Zelluloid zu lesen. Zwischenzeitlich ist sein Oeuvre auf über 120 Filme sowie zahlreiche TV-Musiken und Konzertwerke angewachsen. Seit 1960 wird er nicht mehr als Johnny, sondern als John Williams aufgeführt.

John Williams und Steven Spielberg.

John Williams posiert am 31. Januar 1980 neben einem Flügel in seinem Haus in Los Angeles, Kalifornien, USA (Foto: David Strick/Pictorial Parade/Getty Images).

„Erwachsene werden Musiker“
John Williams erblickte am 8. Februar 1932 in New York das Licht der Welt. Schon während seiner Kindheit war er von Musik umgeben. Sein Vater war Jazz Drummer und Perkussionist in Sinfonieorchestern. Seine Brüder folgten ihrem Vater und erlernten ebenfalls das Perkussionsspiel während ‚Johnny‘ sich dem Klavier verschrieb. „Ich verliebte mich sogleich in den Orchesterklang. Die betäubende Kraft der Bläser, die Farben dieser Klänge“, erinnert sich Williams an einen frühen Besuch einer CBS Radio-Aufnahme mit seinem Vater.
Als die Familie 1948 nach Los Angeles zog, begann sein Vater im Columbia Pictures-Orchester zu spielen und ‚Johnny‘ begleitete ihn oftmals in die Aufnahmestudios, wenn er nicht mit dem Musikstudium an der University of California (UCLA) beschäftigt war. „Alle Erwachsenen, die ich kannte, waren Musiker. Daraus schloss ich, dass man Musiker wird, wenn man Erwachsen ist. Es schien mir der gegebene Weg zu sein.“

Aus dem Jazzclub ins Filmmusikstudio
Nach seinem Militärdienst und dem Ende des Koreakrieges kehrte Williams im Frühjahr 1955 nach New York zurück und begann sein Klavierstudium an der renommierten Juilliard School. Während seines Studiums verdiente er sich als Pianist mit Bandauftritten in Jazzclubs einen Batzen. Wenig später tauchte Williams in den Reihen des Columbia Pictures Studio Orchestra wieder in die Welt der Filmmusik ein. Er spielte die Klavierparts für legendäre Filmkomponisten wie Bernard Herrmann, Alfred Newman, Henry Mancini und Franz Waxman – darunter für Klassiker wie «Some Like it Hot» (1959) und «To Kill a Mockingbird» (1962). Viele der damals tätigen Filmkomponisten beriefen sich auf die Wurzeln der europäischen Romantik – einige von ihnen waren europäische Emigranten. Als grosser Bewunderer der damaligen Filmmusik und aufgrund seines akademischen Hintergrunds stützt sich auch Williams auf musikalisches Erbe grosser Meister wie Richard Wagner, Anton Bruckner, Igor Strawinsky und Erich Wolfang Korngold – hörbar in seiner Musik für «Star Wars» (1977–2019). Zudem prägte der amerikanische Komponist Aaron Copland mit seinen unvergleichlichen Americana-Stilismen seine filmmusikalischen Ansätze für «The Cowboys» (1972), «Superman» (1978) und «Born on the Fourth of July» (1989).

Ein schicksalhaftes Mittagessen
Ab Mitte der 1960er-Jahre griff John Williams vermehrt zur Feder und komponierte Filmmusik – damals wie heute mit Stift und Papier, an seinem inzwischen über 100-jährigen Steinway-Flügel sitzend. Damals während zehn Stunden und sechs Wochentagen, heute noch während rund sechs Stunden an sechs Tagen die Woche – so, dass auch noch Zeit bleibt für den täglichen Spaziergang im Bel-Air Country Club. Williams: „Das Leben eines Komponisten kommt jenem eines Mönchs gleich. Man verbringt täglich Stunden in Zurückgezogenheit.“
Während sich Williams anfangs der 1970er-Jahre mit Filmmusiken zu «The Poseidon Adventure», «Earthquake» und «The Towering Inferno» in der breiten Öffentlichkeit einen Namen als „Master of Desaster“ machte, waren es seine Americana-Kompositionen zu «The Reivers» (1969) und «The Cowboys» (1972), welche die Aufmerksamkeit des jungen Steven Spielberg auf sich zogen. Spielberg: „Damals drohte die sinfonische Filmmusik zu verschwinden. Meister des klassischen Hollywood-Sounds wie Dimitri Tiomkin und Max Steiner komponierten nicht mehr. Als ich «The Reivers» und «The Cowboys» hörte, dachte ich, ‚mein Gott, dieser Komponist muss 80 Jahre alt sein‘. Er komponierte rein sinfonisch und transzendierte diesen altehrwürdigen Hollywood-Klang. Ich musste ihn treffen.“ Und so trafen sich Steven Spielberg und John Williams 1972 zum Lunch in einem „schicken Restaurant in Beverly Hills“, wie sich Williams erinnert. „Steven war so jung. Wenig älter als meine Kinder. Doch er kannte meine Filmmusik besser als ich.“ Spielberg wollte Williams als Komponist für seinen neuen Film «The Sugarland Express» (1974) gewinnen. Williams sagte zu, womit das Fundament für eine bis heute anhaltende, bis dato 31 gemeinsame Kinofilmprojekte umspannende Zusammenarbeit gelegt wurde.
„Die Spielberg/Williams-Kollaboration stellt alle anderen berühmten Regisseur-Komponisten-Duos – Hitchcock/Herrmann, Fellini/Rota oder Prokofiev/Eisenstein – punkto Projektzahl und Diversität in den Schatten“, wie Filmmusikjournalist Jon Burlingam festhält. Sie umspannt Meisterwerke wie «Jaws» (1975), «Indiana Jones – Raiders of the Lost Ark» (1981), «E.T. – the Extra-Terrestrial» (1982), «Jurassic Park» (1993), «Schindler’s List» (1993), «Saving Privat Ryan» (1998), «Munich» und jüngst «The Fablemans» (2022).

Das City Light Symphony Orchestra mit „Map Room“ aus «Indiana Jones: Raiders of the Lost Ark». Dirigiert von Anthony Gabriele. KKL Luzern, Konzertsaal, 17.10.2020.

Das City Light Symphony Orchestra mit „Rey’s Theme“ aus «Star Wars: Episode VII – The Force Awakens». Dirigiert von Kevin Griffiths. KKL Luzern, Konzertsaal, 1.6.2019.


Unser Konzert-Tipp

«A Tribute to Williams & Spielberg»
City Light Symphony Orchestra
Samstag, 20. April 2024 | 19:30 Uhr
KKL Luzern · Konzertsaal


„Ich dachte, er verarscht mich“
Bereits bei John Wiliams‘ zweiter Zusammenarbeit mit Steven Spielberg kam seiner Musik eine Schlüsselrolle zu. Für «Jaws» (1975) schrieb Williams ein Thema, das aus zwei Tönen bestand. „Ich wollte ein triviales, mechanisches, hirnloses Thema. Ein Motiv, das instinktiv und repetitiv wirkte. Etwas, das dich in der Magengrube klemmt und nicht auf Kognition angewiesen war“, so Williams. Als er Spielberg das Thema vorspielte, war dieser geschockt: „Da sass er am Klavier mit seinem lausbübischen Grinsen und spielte diese zwei Töne. Ich dachte, er verarscht mich. Doch es war ihm todernst.“ Doch nach der anfänglichen Ernüchterung verfehlte das Thema seine Wirkung nicht. Weil Spielbergs mechanisches Hai-Modell während des Filmdrehs immer wieder kaputt ging, wollte er diesen möglichst selten im Bild zeigen und er erkannte in Williams‘ Thema die Effektivität der Betonung der unsichtbaren Bedrohung. Zwischenzeitlich ist das Thema Kult, wurde tausendfach zitiert und 1976 mit einem Oscar gekürt.

Steven Spielberg und John Williams kreieren die Titelmelodie für «E.T. – The Extra-Terrestrial» (1982).

Ein zweiter Meilenstein stellte «Schindler’s List» (1993) dar. Nachdem Spielberg eine erste Schnittfassung seines Films Williams zeigte, musste dieser im Anschluss einen Spaziergang machen. Zurück im Studio sagte er zu Spielberg, dass er für diesen Film „einen bessern Komponisten“ benötige. „Ich kann das nicht.“ Spielberg antwortete dann trocken: „Ich weiss, doch diese Komponisten sind alle bereits tot.“ Williams schuf eine herzzerreissende Mischung aus Elegie, Requiem und jüdischer Folklore, angeführt vom israelischen Geiger Itzhak Perlman.


CD-Debüt des City Light Symphony Orchestra

2-CD-Set «Spotlight on John Williams»
City Light Symphony Orchestra

Das 2018 in Luzern gegründete City Light Symphony Orchestra präsentiert mit dem 100-minütigen Programm «Spotlight on John Williams» sein Debüt-Album. Hierfür gelang es Produzent Pirmin Zängerle, herausragende Solisten wie Valentine Michaud, Reinhold Friedrich und Paul Meyer zu gewinnen. Zusammen mit dem 90-köpfigen City Light Symphony Orchestra und dem aufstrebenden Dirigenten Kevin Griffiths nahmen sie im September 2020 im Konzertsaal des KKL Luzern eine Auswahl meisterhafter Filmmusik von Hollywood-Ikone John Williams auf – wobei der Fokus bewusst auf dessen grosse stilistische Vielfalt gelegt wurde.

„Soaring strings, rapturously singing tunes, richly colorful blend, boundless energy and resplendent brass. […] Overall I couldn’t be more pleased with this set.″
– Classical CD Reviews, David Rowe


Von sakralen Hymnen bis zu progressivem Jazz
John Williams erinnert sich an Kinobesuche in seiner Kindheit: „Ich liebte Mantel-und-Degen-Filme, insbesondere deren Schwertkampfszenen.“ Eine solche durfte er mit The Duel in «The Adventures of Tintin» (2011) vertonen – „das Orchester betont jeden Hieb, jede Abwehr, jeden Stoss. Es bereitete mir grossen Spass.“ Kindheitserinnerungen begleiteten auch seine Arbeit an «Hook»: „Mein Lieblingsmoment in dieser Geschichte war stets, wenn Peter Pan und Tinkerbell über die Dächer Londons nach Nimmerland fliegen.“ Im kraftvollen Stück Flight to Neverland hüllt er mit virtuosen, lyrischen Streichern und noblem Blech die Faszination für das Fliegen in kindlich-märchenhafte Aufregung. Für Riesenechsen hatte er hingegen nie viel übrig – bis «Jurassic Park» kam. „Mit der Musik versuchte ich, diesen Tieren eine wundersame, prächtige Aura zu verpassen, gar sakral… eine schöne orchestrale Referenz an einen Einzug in eine Kathedrale“, denn dies waren Williams’ Gefühle, als er die ersten Dinosaurier-Szenen von Spielbergs Film sah.
Auf ganz anderen Tönen spielt seine Arbeit für den Spielberg-Film «Catch Me if You Can» (2002). Die im Konzertarrangement Escapades präsenten Jazz-Stilismen lassen den Jazzclub-Williams der 1950er und frühen 1960er aufblitzen. Dem Orchester steht ein Solisten-Trio vor, das mit virtuosem Spiel auf dem Altsaxophon, dem Vibraphon und dem Kontrabass mal ausgelassene, mal melancholische Klangfarben erstrahlen lässt. Escapades entstand mit der Absicht, eine impressionistische Referenz auf die progressive Jazzbewegung der 1960er Jahre zu präsentieren – das Zeitfenstern, in dem der Film «Catch Me if You Can» spielt. Williams: „Gäbe es den Bedarf nach Filmmusik nicht, hätte ich wohl viele mir wichtige Kompositionsstile nicht praktizieren können. Ich bin ein Glückspilz“, so Williams – und wir als Hörerinnen und Hörer sind es ebenso.

Text: Basil Böhni, September 2023.