„Über die transformative Kraft der Musik“

Was ist Ihr Lieblingsmoment in «Les Choristes»?
Es gibt zwei Momente in diesem schönen Film, die mich nicht mehr loslassen:
Caresse sur l’océan: Wenn wir sehen und hören, wie die Jungen proben und als Ensemble stärker werden, wobei der Schüler Pierre Morhange (gespielt von Jean-Baptiste Maunier) zum ersten Mal als Solist singt.
Cerf volant: Als Monsieur Matthieu (gespielt von Gérard Jugnot) die Schule verlässt, schiessen seine Schüler, die sich aus Solidarität mit ihrem geliebten Lehrer in ihrem Klassenzimmer eingeschlossen haben, Papierflieger in den Himmel, die mit Botschaften der Liebe und Dankbarkeit versehen sind.

Seit wann sind Sie an diesem Projekt beteiligt? Haben Sie mit dem Komponisten Bruno Coulais zusammengearbeitet, um seine Musik für das in-Concert-Format anzupassen?
Es kommt mir so vor, als hätten wir schon sehr lange darüber gesprochen, «Les Choristes» für eine in-Concert-Präsentation aufzubereiten. Die Arbeit begann jedoch erst Ende 2019, wobei die Weltpremiere im Februar 2023 in Paris stattfand. Es freut mich ausserordentlich, dass ich nun auch die nächsten drei Aufführungen von «Les Choristes» – en Concert vom 1. bis 3. Dezember 2023 mit dem Boys Choir Lucerne, dem Jugendchor inCanto und dem 60-köpfigen City Light Symphony Orchestra im KKL Luzern als Schweizer Premiere dirigieren darf.
Bruno Coulais war natürlich in den Prozess involviert, indem er die Anpassung der Musik und jegliche zusätzliche Musik, die für das in-Concert-Format benötigt war, genehmigte. Die Ouvertüre zum Beispiel ist nicht in der Kinofassung des Films enthalten, sondern wurde von Coulais speziell für diese in-Concert-Präsentation komponiert. Als Music Supervisor habe ich am engsten mit Nikiforos Chrysoloras zusammengearbeitet, der für die Orchestrierung, die Arrangements und die musikalische Bearbeitung der Partitur verantwortlich zeichnete.

Foto von der Weltpremiere im Februar 2023 in Paris, dirigiert von Anthony Gabriele.

Anthony Gabriele dirigiert das City Light Symphony Orchestra im KKL Luzern.


Unser Konzert-Tipp

«Les Choristes» – en Concert
City Light Symphony Orchestra

Freitag, 1. Dezember 2023 | 19:30 Uhr
Samstag, 2. Dezember 2023 | 19:30 Uhr – RESTKARTEN
Sonntag, 3. Dezember 2023 | 11:00 Uhr – ZUSATZKONZERT

KKL Luzern · Konzertsaal


Waren Änderungen abseits der genannten Ouvertüre erforderlich, oder ist die Version der Filmmusik die gleiche wie die, die wir im Kino gehört haben?
Am auffälligsten ist, dass eine Ouvertüre hinzugefügt wurde, um dem Film einen ausgeprägteren «Konzertcharakter» zu verleihen. Die gesamte Originalmusik aus dem Film wurde beibehalten, wobei lediglich minime Anpassungen zu Gunsten des in-Concert-Formats notwendig waren. Die meisten dieser Anpassungen beziehen sich auf die Orchestrierung – ein vollerer, ausgeprägterer sinfonischer Klang (wo erforderlich), um die dramatische Erzählung auf dem Bildschirm zu verstärken.

Was sind die besonderen Herausforderungen beim Dirigieren von Filmmusik live zum Film auf Grossleinwand?
Das Dirigieren von Filmmusik parallel zum gezeigten Film auf Grossleinwand im Konzertsaal erfordert eine Genauigkeit und Präzision, die bei der Aufführung anderer Repertoires nicht unbedingt erforderlich ist. Um einen Film mit der live gespielten Filmmusik gut zu dirigieren, muss diese Genauigkeit erreicht werden, ohne dass die Musik mechanisch oder akademisch wird. In erster Linie ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das Publikum zu jedem Zeitpunkt mitfiebert – emotional und dramatisch. Man muss die Partitur so dirigieren, dass die Musik auf natürliche Weise atmen kann, damit sie sich musikalisch anfühlt und dennoch immer mit dem Geschehen auf der Leinwand sekundengenau verbunden ist. Ich komme aus dem Musiktheater und der Oper, und für mich ist es nicht anders, als eine Live-Aufführung zu begleiten, aber anstelle von Schauspielern auf der Bühne haben wir Schauspieler auf der Leinwand, was glücklicherweise eine wunderbare Konsistenz mit sich bringt, die es mir erlaubt, den Film und die Partitur sehr gründlich zu studieren.

In Film «Les Choristes» wird viel gesungen und der Gesang wird auch auf Grossleinwand als Teil des filmischen Geschehens gezeigt (damit ist der Gesang ein diegetisches Musikelement). Dies muss mit der Live-Aufführung synchronisiert werden. Ist dieses Nebeneinander von diegetischer und nicht-diegetischer Musik (Musik, die nicht explizit Teil des Leinwandgeschehens ist; bspw. Hintergrundmusik) eine besondere Herausforderung für das Dirigat oder vergleichbar mit anderen Live-Aufführungen von Filmmusik?
Im Grossen und Ganzen ist diese Partitur wie die meisten anderen «Film mit Orchester»-Projekte. Der Wechsel zwischen diegetischer und nicht-diegetischer Musik innerhalb ein und derselben Szene, oft überlagert von einer Erzählung, erfordert jedoch ein höheres Mass an Genauigkeit bei der Synchronisation mit dem Bild. Manchmal ist der Kinderchor sowohl zu sehen als auch zu hören (diegetisch), ein anderes Mal ist er zu hören, aber nicht zu sehen (nicht-diegetisch). In diesen Fällen ist der Einsatz des Chors rein atmosphärisch – die Stimmen bestimmen zusammen mit dem Orchester die Stimmung und den Charakter einer Szene –, wir sehen sie nicht und niemand ausser uns hört sie, weshalb sich Chor und Dirigent dann über ein wenig mehr Rubato freuen dürfen (Gabriele lacht).

Ihre Leidenschaft für «Les Choristes» ist offensichtlich. Was ist das Besondere an diesem Film?
«Les Choristes» ist eine Geschichte über die transformative Kraft der Musik. In diesem Sinne ist es der perfekte Film für eine Live-Vorführung. Wie könnte man diesen Film besser erleben als mit einem Live-Chor und -Orchester?

Une Coproduction de Ugo & Play, Paris et IMG Artists, Hannover


Zur Person Anthony Gabriele
Anthonys internationaler Ruf als leidenschaftlicher Dirigent und profunder Kenner des Repertoires hat ihn zu Orchestern wie dem Royal Philharmonic, dem Royal Liverpool Philharmonic, dem London Philharmonia, dem Zürcher Kammerorchester, dem Jerusalem Symphony, dem Ireland’s National Symphony und dem City Light Symphony Orchestra zurückkehren lassen. Er hat mit Künstlern wie der Schlagzeugerin Dame Evelyn Glennie, dem Tenor Fabio Armiliato, der Akkordeonistin Ksenija Sidorova, dem Singer/Songwriter Ronan Keating und dem Violinist Daniel Hope zusammengearbeitet.
Gabrieles Faszination für das Erzählen von Geschichten mit der Musik hat ihn schon immer hinsichtlich seiner Projektwahl geleitet. Er übernahm die musikalische Leitung im Londoner West End sowie auf weiteren internationalen Bühnen unter anderem von «The Lion King», «Cats», «The Phantom of the Opera», «The Wizard of Oz», «Funny Girl», «Jesus Christ Superstar» und «Evita». Als Preisträger des Blue Danube Music Impresario (Wien) – ein internationaler Wettbewerb für Operndirigat – hat er unter anderem „Don Carlos“, „La traviata“, „La bohème“, „Don Giovanni“ und „Madama Butterfly“ dirigiert.
Gabriele ist einer der gefragtesten Dirigenten von Film-Konzert-Aufführungen, wobei er bereits 23 solche Projekte dirigierte, darunter die Live-Weltpremieren von «Superman», «Moby Dick», «Spectre» und «Les Choristes».

Foto: Christopher Mason

Konzert-Kalender

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