Sie sind ein vielseitig interessierter Dirigent – historische Aufführungspraxis, zeitgenössische Musik, grosse Sinfonik. Für City Light Concerts dirigieren Sie zudem seit deren Gründung im Jahr 2018 wiederholt Filmmusik. Was begeistert Sie an diesem Musikgenre?
Die Musik zu einem Film hat sich zu einem wesentlichen Bestandteil der Filmkunst entwickelt. Sie ist nicht mehr wegzudenken. In Symbiose mit den bewegten Bildern sorgt die Filmmusik für die Entfaltung und Intensivierung des emotionalen Inhalts. Als Resultat präsentiert sich den Zuhörenden und Zuschauenden ein Kaleidoskop der Gefühle, welches mich als Dirigent ebenso intensiv in das Geschehen hineinzieht und als Bestandteil der Geschichte werden lässt. Man wird damit im wahrsten Sinne des Wortes zu einem unsichtbaren Akteur mitten im Film.
«James Bond – Spectre» mit dem City Light Symphony Orchestra unter der Leitung von Kevin Griffiths, KKL Luzern, 27.11.2022.
«How to Train Your Draong» mit dem City Light Symphony Orchestra unter der Leitung von Kevin Griffiths, KKL Luzern, 3.2.2023.
Zahlreiche Projekte mit City Light Concerts fokussieren auf die integrale, punktgenaue Aufführung der Filmmusik zum gezeigten Film auf Grossleinwand. Wie bereiten Sie sich auf ein solches Konzert mit Filmbegleitung vor?
Diese Vorbereitungen unterscheiden sich nicht wesentlich von jenen, die ich treffen muss, um beispielsweise eine Oper einzustudieren, ausser dem Wissen, dass wir mit der musikalischen Entfaltung im Kontext zum Tempo weniger Freiheiten besitzen, denn der Film gibt letztlich das Tempo vor.
Das eingehende Studium der Partitur ist und bleibt die Kernaufgabe und der Schlüssel. Für eine Oper sowie auch für Konzerte mit dem City Light Symphony Orchestra muss ich zusätzlich die Handlung gut kennen; ich muss wissen, welchem Leitmotiv welche Rolle zugeteilt wird, was die fortlaufenden Zusammenhänge zwischen der Filmmusik und dem Bild sind etc.
Weiter – und in Anlehnung an mein vorgenanntes Interesse an historischen Aufführungspraxen – sind mir auch die Hintergründe der Entstehung des Films und der Komposition sehr wichtig. Sie ermöglichen mir einen besseren Durchblick und ein eingehenderes Verständnis des schöpferischen Prozesses.
Für die kontinuierliche, inkrementelle und exakte musikalische Begleitung der sich fortbewegenden Bilder braucht es bei grossen Filmen meist gewisse technische Hilfsmittel – dazu gehören visuelle Instrumente wie „Punchers & Streamers”, vertikale Balken die sich von einer Bildschirmseite zur anderen bewegen, um mir ein genaues Zeitgefühl zu geben. Dieser „Streamer“ zeigt mir an, wann ein neues Stück beginnt (anhand eines grünen Balkens) bzw. ein Stück endet (anhand eines roten Balkens), oder wann ein fliessender Stückwesel zu erfolgen hat (anhand eines gelben Balkens). Die dazu aufblitzenden „Punchers“ unterstützen mich bei komplexeren Übergängen oder Änderungen des Tempos, so dass ich die Musik zielsicher zum Film dirigieren kann.
Auf der Grossleinwand läuft «James Bond». Sie dirigieren 90 Musikerinnen und Musiker. Gespielt werden zum einen orchestrale Filmmusik, aber auch die so beliebten Bond Titel-Songs – live zum Film mit allen Dialogen und Soundeffekten. Wie funktioniert die exakte Zusammenführung dieses Leinwand- und Musikgeschehens?
Zu den oben erwähnten „Punchers & Streamers” habe ich bei einem Film wie «James Bond», in dem auch minutiöse elektronische Musik entweder live vom Synthesizer gespielt oder als Teil des in-Film Soundtracks abgespielt wird, zusätzlich einen sogenannten „Click Track“. Das ist ein rhythmisches Klicken, das mir über Kopfhörer ins Ohr gespielt wird und mir das punktgenaue Spiel der Filmmusik mit den exakten Tempi erleichtert.
Die Kunst besteht darin, das Orchester geschickt um diesen sich fortlaufenden „Click» herum manövrieren zu können, damit der natürliche Fluss der Musik erhalten bleibt, um dann so geschmeidig wie möglich den „Click» anzuvisieren, bis das Orchester im richtigen Moment deckungsgleich zum Film spielt. Um dies umsetzen zu können, muss man wissen, wo man sich bezüglich dem Bild Freiheiten nehmen darf und wo die Musik und das Bild auf die halbe Sekunde genau – Schlag auf Schlag – synchron sein müssen. Dies verlangt von mir – und letztlich auch von den Musikerinnen und Musikern –, dass ich die verschiedenen Tempi und Übergänge sehr gut verinnerlicht habe, denn die Wechsel in der Filmmusik erfolgen oftmals von einem Takt auf den anderen.
In Bezug auf die Titel-Songs ertönen die Original-Singstimmen aus dem Film, exakt abgestimmt auf das mir vorliegende Notenmaterial.
«James Bond – Spectre» mit dem City Light Symphony Orchestra unter der Leitung von Kevin Griffiths, KKL Luzern, 27.11.2022.
Unser Konzert-Tipp
«Love Actually» – in Concert
City Light Symphony Orchestra
Dienstag, 19. Dezember 2023 | 19:30 Uhr
Dienstag, 26. Dezember 2023 | 17:30 Uhr
KKL Luzern · Konzertsaal
Was ist schwieriger zu dirigieren – Actionmusik für «James Bond»-Filme, romantische Filmmusik für «Love Actually», oder Musik zu verspielten Animationsfilmen wie «How to Train Your Dragon»?
Das lässt sich nicht so leicht kategorisieren. Alle diese Genres haben ihre ganz eigenen Tücken, die in jedem Falle ausreichend Vorbereitungszeit benötigen. Bei einem Actionfilm kommt sicherlich hinzu, dass man körperlich fit sein muss! Es gibt minutenlange Action-Sequenzen in «James Bond»-Filmen, bei denen man nach dem letzten Ton schweissgebadet und ausser Atem dasteht.
Zur Person Kevin Griffiths
Der in London geborene Dirigent Kevin Griffiths hat mit namhaften Orchestern wie dem hr-Sinfonieorchester Frankfurt a. M., dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester, dem Tonhalle Orchester Zürich, dem Orchestra of the Age of Enlightenment, der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland Pfalz, dem Netherlands Symphony Orchestra und dem Sinfonieorchester Basel zusammengearbeitet. Zudem war er von 2011 bis 2018 künstlerischer Leiter und Chefdirigent des Collegium Musicum Basel.
Kevin Griffiths ist regelmässiger Gast beim Menuhin Festival Gstaad und dem Vaduz Classic Festival Liechtenstein. Er arbeitete bereits mit Solisten wie Sir James Galway, Pierre-Laurant Aimard, Vesselina Kassarova, Fazıl Say und Isabelle van Keulen zusammen.
Mit integralen Aufführungen von Charlie-Chaplin-Filmen machte sich Griffiths auch einen Namen als Dirigent für Filmmusik.
Von ihm geleitete CD-Einspielungen erschienen bei Labels wie Sony, Warner Classics, CPO und Prospero Classical.