Interview von Will Lawrence mit dem Komponisten David Arnold über seine Liebe zu den Bond-Filmen und seine Vertonung von «Casino Royale».
David Arnold, dies war Ihr fünfter Bond-Film, an dem Sie mitgewirkt haben. Wie weit zurück reicht Ihre Beziehung zur Serie insgesamt?
Eine meiner ersten Erfahrungen mit Bond war auf der Weihnachtsfeier der Royal British Legion für Kinder in Luton. Ich war etwa sieben oder acht Jahre alt. Es wurde ein 16-mm-Projektor mit einer geliehenen Kopie von «You Only Live Twice» (1967) hereingeschoben, eine Leinwand in der Grösse eines Küchentisches aufgebaut und ein einziger Mono-Lautsprecher aufgestellt. Ich hatte keine Ahnung, was das alles war. Ich stand nahe am Projektor, und plötzlich sah man die unglaubliche Vorspannsequenz, das Raumschiff, das von einem noch grösseren Raumschiff verschlungen wurde; Bond, der niedergeschossen wurde; und dann die Titelsequenz mit dem unglaublichen Song, den Nancy Sinatra gesungen hat.
Innerhalb von etwa zehn Minuten war das alles passiert, und ich erinnere mich, wie ich dachte: „Das ist das Grossartigste, was ich je gesehen und gehört hatte”. Und wenn man sich diese ersten zehn Minuten anhört, den Titel-Song, die Filmmusik, das Bond-Thema, das sind alles so ikonische Musikstücke und Filmsequenzen. Von diesem Zeitpunkt an war ich unglaublich fasziniert von der Bond-Serie. Ich glaube, es war in erster Linie die Musik, die mein Interesse weckte. Der allererste Film [«Dr. No», 1962] kam in dem Jahr heraus, in dem ich geboren wurde. Ich habe also mein ganzes Leben mit der Figur des James Bond verbracht. Als ich gebeten wurde, meinen ersten Bond-Film zu machen, war das, als würde man mich bitten, den Saum von Gottes Kutte zu berühren!
Grammy-Award-Gewinner David Arnold hat nicht nur die Musik zu fünf James-Bond-Streifen produziert, sondern auch für zahlreiche weitere Film- und Fernsehproduktionen sowie mit einer Vielzahl von Stars der Musikszene zusammengearbeitet.
Der erste Bond-Film, den Sie vertont haben, war «Tomorrow Never Dies» (1997). Angeblich hat der grosse John Barry, dessen Name als Komponist unauslöschlich mit der Serie verbunden ist, Sie aufgrund Ihrer „Shacken and Stirred“-LP empfohlen …
Ich glaube, es gibt verschiedene Versionen darüber, wie ich zu meinem ersten Bond-Film gekommen bin. Und selbst ich bin mir nicht mehr sicher, welche davon wahr ist. Ich hatte tatsächlich die Platte „Shaken and Stirred“ aufgenommen, auf der ich James-Bond-Songs coverte. Der [berühmte Produzent] George Martin stellte mich John vor, und er äusserte sich sehr lobend und nett über die Platte. So wurden wir Freunde. Gleichzeitig schickte ich einige der Stücke auch an Michael [G. Wilson] und Barbara [Broccoli] von EON sowie an das Team von MGM, weil ich etwas machen wollte, das ihre Zustimmung finden würde. Und sie benutzten die Cover-Version von On Her Majesty’s Secret Service, die ich mit der Band Propellerheads aufgenommen hatte, als Aushilfsmusik für die Szene in «Tomorrow Never Dies», in der Pierce Brosnan seinen BMW über sein Telefon auf dem Rücksitz liegend fährt.
Zur gleichen Zeit hatte ich gerade einen Grammy gewonnen und stand buchstäblich vor den Toren von EON. Ich war ein lebenslanger Bond-Fan, der bereits Material aufgenommen hatte, das vielleicht so klang, wie die Produzenten es sich vorstellten. Und ich hatte mit einigen grossen Studiofilmen zu tun, die sehr gut gelaufen waren. Ich denke also, es war eine etwas leichtere Entscheidung für Michael, Barbara und die Führungskräfte bei MGM, die all diese Dinge in Einklang bringen konnten. Aber es hat sicherlich nicht geschadet, dass John Barry mir sein Einverständnis gegeben hat.
Unser Konzert-Tipp
«Casino Royale» – in Concert
City Light Symphony Orchestra
Samstag, 26. Oktober 2024 | 19:30 Uhr
KKL Luzern · Konzertsaal
Hatten Sie bei all Ihrer Erfahrung dennoch ein gewisses Mass an Nervosität, als Sie die Scores zu Ihrem ersten Bond-Film schrieben?
Ich habe es immer mit einer Everest-Besteigung verglichen. Manchmal träumt man davon, eine Fahne auf dem Everest zu hissen oder das Siegestor im Finale der Fussballweltmeisterschaft zu schiessen. Aber man träumt nicht von dem enormen Engagement, das dafür erforderlich ist. Als ich gefragt wurde, war ich plötzlich nicht mehr in meinen Träumen auf dem Gipfel des Everest, sondern stand am Fusse des Everest und schaute auf den Gipfel. Und ich dachte: „Jetzt muss ich dieses Ding tatsächlich besteigen.“ Dann gibt es nur noch dich und deine Arbeit. Du schaust dir den Film an, der vor dir liegt. Und du versuchst, die Lösungen für die Probleme zu finden, die er dir stellt. Da ich mich mit den vergangenen Filmen und den Dingen, die zuvor gemacht wurden, einigermassen gut auskannte und das Ausmass des Ganzen überlickte, habe ich nicht gedacht: „Oh mein Gott, was ist das denn?“ Ich fühlte mich wohl. Es fühlte sich wie vertrautes Terrain an, denn in meinem Kopf hatte ich schon tausend Bond-Filme vertont.
Gab es irgendwelche grossen Überraschungen?
Mir kommt eine grosse freudige Überraschung in den Sinn. Damals ging ich zu Derek Watkins, dem ersten Trompeter, um mit ihm über eine konkrete Spielart einer Stelle in «Tomorrow Never Dies» zu sprechen, und ich sagte zu ihm: „Das ist ein bisschen wie die Sache in «Goldfinger» (1964). Und er sagte: „Oh, das war ich.“ Ich fand heraus, dass Derek in jedem Bond-Film Trompete gespielt hatte. Und mit solchen Leuten in einem Raum zu sein, ganz zu schweigen von den Produzenten und all den brillanten Regisseuren, ist einfach wunderbar.
Die Produzenten hatten eine neue Vision, als sie «Casino Royale» drehten. Welchen Auftrag haben sie Ihnen gegeben, wenn überhaupt?
Ich glaube, der Grund, warum Michael und Barbara zu meinen Lieblingsproduzenten gehören, ist, dass sie Leute einstellen, die sie für richtig halten – und dann lassen sie sie ihre Arbeit machen. Sie lassen die Leute nicht vom Kurs abkommen; sie lenken sie in die richtige Richtung. Aber sie sind nie da und sagen: „Ihr müsst das tun.“ Sie reagieren sehr stark auf die Ideen, die man hat, und es gab eine Menge Diskussionen über die Figur. Als ich das Drehbuch für «Casino Royale» las, hatten wir noch keine Bond-Besetzung. Der Regisseur Martin Campbell und die Produzenten testeten eine Reihe von Schauspielern, und ich stellte die Musik für die Probeaufnahmen zusammen. Es waren richtige Szenen, und man konnte wirklich sehen, wie der Schauspieler als James Bond ist.
Daniel war der letzte Testschauspieler, den ich gesehen habe – und man merkte sofort, dass er dieses gewisse Etwas hatte, das einfach nicht zu stoppen war. M bezeichnet ihn im Film als „blunt instrument“ (stumpfes Werkzeug); und es gibt eine Szene in der frühen Verfolgungsjagd in Afrika, in der er durch eine Wand rennt, und das funktioniert gut als Metapher für diesen Bond. Das hat uns zum Ton der Sache geführt, der für mich immer vor einem Song kommt. Die grosse kreative Entscheidung in musikalischer Hinsicht war, auf das weltberühmte Bond-Thema zu verzichten. Denn er entwickelt sich erst hin zu dieser uns so bekannten Person, er hat noch nicht die Dinge erworben, die er braucht, um dieses dazugehörige Musikthema zu verdienen.
Sie haben das Thema an bestimmten Stellen angedeutet …
Ja, ich habe beschlossen, Elemente davon einzubauen. Wenn er also ein Kartenspiel spielen muss, wenn er zum ersten Mal einen Smoking anzieht – das sind Dinge, die zu klassischen Charakterzügen dieser Figur wurden –, dann ist da ein musikalischer Wink. Aber zu dem Bond, den wir kennen, wird er erst am Ende des Films. Dann sagt er den klassischen Satz [„My name is Bond… James Bond“], wir schneiden auf Schwarz – und stürzen uns auf das Thema. Es ist ein glorreicher Moment. Man hat darauf gewartet und wurde den ganzen Film über damit aufgezogen.
Waren die Studiobosse besorgt, dass das Publikum ohne Monty Normans Titelmusik ein Gefühl der Ungewohntheit verspüren könnte?
Ich glaube, es gab ein Telefongespräch dazu, aber wir hatten alle das Gefühl, dass die Filmmusik bereits wie James-Bond-Musik klang. Es fühlte sich nach James Bond an. Das Thema [You Know My Name], das ich zusammen mit Chris Cornell geschrieben habe, basiert auf der gleichen musikalischen DNA wie Monty Normans Originalthema. Es hat das gleiche klangliche Gefühl. Es gibt eine harmonische Ähnlichkeit. Ohne dass es dasselbe ist, wollte ich, dass es sich wie etwas anfühlt, das in das Bond-Thema überleitet, oder etwas, das einen natürlichen Übergang darstellt. Denn das ist die eigentliche Aufgabe des Films, nämlich James Bond von der fast raubeinigen Figur zum Agenten und dann zu der umfassenderen, komplexeren Person zu machen, die wir alle kennen.
John Barry hat das auch in gewisser Weise gemacht; er hat das Thema manchmal nur angedeutet, aber nicht wirklich aufgegriffen.
John hat das immer so brillant gemacht. Es gibt ein paar Stellen, an denen man das Bond-Thema hört, aber die meiste Zeit hört man Musik, die ganz typisch für James Bond ist und doch nichts mit dem Thema zu tun hat. Es ist faszinierend, wie John das gemacht hat, und so habe ich versucht, diese Tradition fortzusetzen: substanzielles thematisches Material zu haben, das in das Universum von James Bond gehört, ohne das Thema offenkundig wiederzugeben. In «Die Another Day» (2002) haben wir das sehr oft gemacht. Das war das 40-Jahr-Jubiläum der Serie, eine Feier aller bisherigen Bond-Filme, und ich glaube, bei «Casino Royale» waren wir bereit für einen etwas spärlicheren Auftritt.
Komponist John Barry, Erschaffer des ikonischen „James Bond Theme”.
Wenn das Thema am Ende des Films zu hören ist, spielen Sie dann diese Gitarre?
Ja. Ich habe bei allen Filmen, die ich vertont habe, Gitarre gespielt, abgesehen von einer Stelle in «Tomorrow Never Dies». Aber «Casino Royale» war das erste Mal, dass wir etwas Spezielles geschrieben haben. Natürlich war es das James-Bond-Thema, also eine Komposition von Monty Norman, aber wir haben es arrangiert, um die Geschichte voranzutreiben. Es ist kein Musikstück, das man am Ende anhängt, während die Leute das Theater verlassen. Es ist ein sehr wichtiger Punkt in dieser Geschichte. Ich wollte zum klassischen Thema zurückkehren, es aber wie Daniel gestalten; es muskulös und unaufhaltsam und selbstbewusst und tödlich machen. Ich habe auch das Gefühl, dass ich dem mit dem Gitarrensound so nahe wie möglich gekommen bin. Nach vier Filmen habe ich herausgefunden, dass diese Orchestrierung bzw. Kombination aus Gitarre, Verstärker und Saitenstärke wahrscheinlich die beste ist. Seitdem benutze ich dieses Set-up immer.
You Know My Name scheint tatsächlich Daniels Interpretation der Figur widerzuspiegeln. Und auch die Stimme von Chris Cornell; sie ist sehr kraftvoll, sehr stark – hat aber auch die Sensibilität, die Daniel in Bond zeigt …
Ja, und in gewisser Weise ist es der erste Song, der von James Bond handelt und aus seiner Perspektive gesungen wurde. Es gibt viele Songs, die von Bond als dem gefährlichen Fremden handeln, oft aus der Perspektive einer verschmähten Liebhaberin oder eines ausrangierten Komplizen. Im Song Goldfinger geht es offensichtlich um den Bösewicht. Thunderball handelt von Bond, wird aber aus der Perspektive eines anderen gesungen. You Know My Name sollte eine Warnung sein. Ich wollte, dass es eine Warnung ist, dass er kommt und dass die Leute ihm besser aus dem Weg gehen sollten. Darum geht es in diesem Song. So ist der Song gemeint und so hat Daniel ihn auch gespielt. Er hat die Regeln gebrochen, er hat nicht getan, was er tun sollte; er hat viel Schaden angerichtet und viel Schaden genommen. Er hatte Erfolg, aber es gab eine Menge Kollateralschäden, eine Menge Schmerz. Normalerweise sind die Songs eine Einladung in die Welt des Films, den man gleich sehen wird. Dieser Song hingegen ist eher eine Einladung in die Welt der Person Bonds. Es war eine offene Tür zu ihm. Thematisch hat mich das interessiert.
Komponist David Arnold (links) und Singer/Songwriter Chris Cornell im Studio.
Chris war ein grossartiger Texter …
Ich denke, er war ein grossartiger klassischer Songwriter und Texter, und ich denke, dass er mit seinen Texten genau richtig lag. Wir haben einige davon gemeinsam geschrieben, aber der Grossteil der Texte stammt von Chris, sie gingen eine Ehe mit der Musik ein. Wir waren am Set in Prag, haben Daniel kennengelernt und einige der Aufnahmen gesehen, und dann sind wir zusammen an unsere eigenen Orte gegangen und haben unsere Ideen sortiert, die sich leicht ineinander fügten. Die eigentliche Komposition war dann sehr einfach.
Die Musik macht einen grossen Teil der Atmosphäre aus. Haben Sie am Set viel Zeit damit verbracht, Daniels Performance aufzusaugen?
Ein Teil davon ist das Aufsaugen der Atmosphäre. In einem Film können bestimmte Dinge durch Dialoge, durch die Art und Weise, wie man bestimmte Dinge schneidet und zeigt, behandelt werden. Bei der Musik hingegen geht es oft um das, was man nicht sieht. Die Musik gibt uns einen Einblick in das Temperament und den farblichen Grundton des Films; und es ist schön, sich als Teil des Prozesses zu fühlen, anstatt erst am Ende dazuzukommen, wenn alles schon fertig ist. Ich mag es, daran beteiligt zu sein.
Gibt es bestimmte Szenen in «Casino Royale», die Ihnen besondere Freude bereiten, wenn Sie die Musik hören?
Ich mag einige der Actionszenen in der Flughafen-Sequenz in Miami, in der Daniel gegen den Terroristen im Lastwagen kämpft, vor allem, weil ich die Trompeten-Darbietungen mag. Sie sind so dicht, das ist wirklich aufregend. Der Höhepunkt war, als wir das Bond-Thema zum ersten Mal live als Ensemble gespielt haben. Ich habe damit gewartet, bis wir alles andere aufgenommen hatten. Jeder wusste, dass es kommen würde, und es fühlte sich an wie eine Abschlussparty, auf die wir alle gewartet hatten. Es explodierte förmlich. Es ist ein grosses Arrangement und es ist ein grosser Sound. Jeder hat live gespielt, es gab keine Voraufnahmen. Und wir hatten alle das Gefühl, dass wir mit diesem Film etwas Besonderes gemacht hatten. Daniel war etwas Besonderes, und wir waren in der Stimmung für etwas Feierliches. Abgesehen davon liebe ich die Klaviere, wenn Bond [mit Vesper Lynd] unter der Dusche steht. Das ist ein wirklich rührender und bewegender Moment, was sehr selten ist. Das ist eines der Dinge, die ich an «Casino Royale» am meisten mag. Dieser Film fühlt sich wirklich so an, als wäre er voller Realität.
Komponist David Arnold
David Arnold ist ein mehrfach ausgezeichneter britischer Komponist für Film- und TV-Produktionen. Bekannt wurde er durch seine Arbeit an Blockbustern wie «Stargate» (1994), «Independence Day» (1996) und «The Chronicles of Narnia: The Voyage of the Dawn Treader» (2010). 1997 trat er in die Fussstapfen von John Barry und komponierte bis 2008 die Musik zu fünf «James Bond»-Filmen (einschliesslich «Casino Royale» (2006), für den er je eine Grammy- und eine BAFTA-Nomination erhielt und die Auszeichnung für „Best Song» der World Soundtrack Awards gewann). Weiter komponierte er die Musik zu Filmen wie «Godzilla» (1998), «Shaft» (2000), «The Stepford Wives» (2004), «Hot Fuzz» (2007) und «Paul» (2011) – um nur einige zu nennen.
David Arnolds Arbeiten für Fernsehserien umfassen «Little Britain» (2003–2006) und «Little Britain USA» (2008) sowie die BAFTA- und Emmy-gekrönte Musik co-komponiert mit Michael Price für die BBC-Serie «Sherlock» (2010–2017) und für die Amazon-Prime-Serie «Good Omens» (2019–2023).
David Arnold ist nicht nur ein weltbekannter Filmmusikkomponist, sondern auch ein angesehener Künstler, Plattenproduzent, Songwriter und Dirigent, der mit einigen der grössten Namen der Musikbranche gearbeitet hat, darunter Queen, Chrissie Hynde, Iggy Pop, Paloma Faith und George Michael, Massive Attack, die Kaiser Chiefs, Shirley Manson, Damien Rice, Dame Shirley Bassey und Sir Paul McCartney.
(Interview aus dem Englischen übersetzt und geringfügig angepasst von Andreas Waser)
Casino Royale licensed by Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. Casino Royale © 2006 Danjaq and UA. 007 Gun Logo And Related James Bond Trademarks © 1962-2024 Danjaq and UA. Casino Royale, 007 Gun Logo and related James Bond Trademarks, TM Danjaq. All Rights Reserved.